Abendzeitung Nürnberg vom 8. März 2008
Erotik in Geschenkpapier
Tolles Spektakel: „Love me tender“ von der Pocket Opera im Z-Bau
Beim Besuch der alten Dame (in deren glitzernder Hülle ein Herr steckt) knistert es sofort. Es ist nicht unbedingt die Erotik, die sich da als Seniorenstiftung bemerkbar macht, aber die bauschigen Kostüme von Evelyn Straulino signalisieren Geschenkpapier, wohin das Auge blickt. Und das hat auch sonst viel zu sehen. Eine rund 300 Jahre alte Oper des weithin unbekannten französischen Komponisten Jean-Joseph Mouret, in Deutschland wohl noch nie aufgeführt, ist inn der Fassung der Pocket Opera Company in einen phänomenalen Wiedergeburtstag hineingeraten. Im Z-Bau, dem Nürnberger Hauptumschlagplatz des alternativen Lebensgefühls am Rest-Baubestand der ehemaligen US-Kaserne, hat der Musiker Franz Killer seine ohrenkitzelnde Ausgrabung durch ein Querschlag-System von Reizmomenten gejagt und frei nach dem Unterleibesertüchtigungsprogramm von Elvis auf „Love me tender“ umgetauft. Ein 18jähriger Slam-Poet, Ausnahmebegabung aus Berlin, attackiert die neckische „Amourette“ verbal, drei Breakdance-Artisten fahren körpersprachlich dazwischen .- und die klingende Kombination von Tuba, Flöte und Saxophonen ist ja auch nicht alltäglich.
Auf zwei große Spielräume inmitten des Publikums verteilte Regisseur Rolf P. Parchwitz das bestens gelaunte Spektakel. Erst rauscht die überreife Megäre im dritten Frühling (Bariton Robert Eller schwingt Hüften wie Arien tollkühn) mit Hofstaat herbei und grapscht nach dem jugendlichen Tenor (Benedikt Nawrath schaltet mitten im barocken Tandaradei gekonnt auf lupenreinen Bibber-Presley um), obwohl dem eher nach der Tochter gelüstet. Der Konflikt wird im Zauberwald fortgeführt, wo die Äste dem Zuschauer ins Gesicht ragen, Haushofmeister Johannes Reichert alle auf ihre Pflicht zum Gruselgefühl hinweist und auf Laufstegen statt Tütü-Ballett ein eisbäriges Breakdance-Trio flockig in den Takt springt. Zurück bei Hofe wird alles happyendlich aus dem Romantik-Rahmen gekippt.
Liebe? Julian Heun bellt das Wort und steht am anderen Ende des Saals nach jeder Szene bereit zum ätzenden Schlagabtausch, zur Poetry-Slamschlacht, reimt der überkandidelten Titelheldin „Schattenmorelle“ auf „Jungfrauenquelle“ und weiß „Das Leben schlägt auf, als wenn es nie einen Fallschirm gab“. Von den starken Eindrücken der zweistündigen Aufführung sind diese Wortgefechte von Affekt zu Affekt die allerbesten – und da sieht für Momente das Basis-Operchen auch mal so alt aus, wie es wirklich ist.
Egal, Franz Killer hat die Musik in bester POC-Tradition zugespitzt, lässt Ohrwürmer klingeln und Rhythmen Trampolin springen, fädelt keuchendes „Je taime“ an passender Stelle ein und gibt dem implantierten Titel-Softsong aus der Rock-Röhre auch eine Chance als Choral. Das POC-Ensemble ist bestens in Form (Astrid Kessler ganz besonders) und verleiht dem Spaß den nötigen Hauch von Ernst.
Der Einzug der Oper in den Z-Bau ist ein Triumph der Phantasie. Das Premierenpublikum jubelte.
Dieter Stoll
——————————————–
Nürnberger Zeitung vom 8. März 2008
Pocket Opera im Z-Bau: «Love me tender«
Es geht um die Liebe – und wie!
Eine beachtliche Bühnenrampe, platziert in der Mitte des großen Saals, darauf eine sommerliche Sitzgarnitur, ein Fitnesstrainer und eine Harley Davidson. Drei Schritte entfernt verschanzt sich ein Poet hinter seinem Lesepult. Das Orchester ist in Reichweite.
Viel mehr braucht die Pocket Opera Company auch diesmal nicht, um ihre Sicht auf die Welt und die Oper zu möblieren. Der künstlerische Leiter Franz Killer hat tief in der musikalischen Schatzkiste gewühlt und taucht mit einer unbekannten, französischen Barockoper von Jean-Joseph Mouret aus dem Jahr 1714 wieder auf. Er schreibt sie um, instrumentiert sie neu und klebt – frei nach Rock’n’Roller Elvis Presley – die Vignette «Love me Tender!« darauf. Es geht um die Liebe. Und wie!
Zusammen mit Gastregisseur Rolf P. Parchwitz stellt Killer im Z-Bau ein Integrationsmodell von Barockmusik, Poetry Slam (deutsch: Dichterschlacht) und Break-Dance vor und lotst das Publikum durch einen bonbonfarbenen Frühling voller Gefühlsschauer. Und die regnen sich vor allem durch Julian Heun ab. Jenen 18-jährigen Schüler, der als lyrischer Kommentator auf leisen Gummisohlen eine drastische Gebrauchsanleitung für die Liebe deklamiert und offensichtlich mehr von ihr weiß, als einem 18-jährigen geheuer sein kann.
Dekorierter Versmaßkrieger
Heun, der dekorierte Versmaßkrieger, sehnt nichts herbei, er stellt fest und schabt dabei kleine Risse in die Amorette, manchmal auch ganze Krater. Denn das Thema des Abends ist heiter bis heikel. Ragonde (Robert Eller), eine zahnlose Witwe und auf Kreuzfahrt in ihren zweiten Frühling, verliebt sich in den blutjungen Colin (kotelettenbewachsen, geht als Elvis durch: Benedikt Nawrath).
Dieser aber hegt Gefühle für Ragondes Tochter Colette (Astrid Kessler), deren Libido wiederum an Lucas (Katharina Heiligtag) geknüpft ist. Im Ringelpietz mit Publikumskontakt reißen Killer und Parchwitz alle POC-Schubladen auf, die sie finden können und überdekorieren ihre Protagonisten in Gestik und Kleidung. Wie immer sympathisch und wie immer auf dauererregtem Niveau, eingelegt in eine sinnliche, barocke Arienwelt mit Fußnoten ins 20. Jahrhundert.
Dass die Hauptrolle der Ragonde mit Baritonstimme besetzt wird und Lucas wiederum von einer Sopranistin gesungen wird, folgt dem Plan, Liebesklischees auf den Kopf zu stellen. Doch nicht nur die werden verschränkt. Vor allem die Texte Julian Heuns fächern den musikalischen Kunstturnern ein gehöriges Generationen-Lüftchen zu.
Und so flirrt die Atmosphäre im jungen Alternativzentrum Z-Bau vor der Unbehaglichkeit des Alterns bei unverminderter Sinneslust. Ragonde erfährt den physischen Attraktivitätsverlust kolossal tragisch-komisch und allen anderen fährt es immer wieder durch Mark und Bein. Bravo!
Karin Lederer
—————————————————
Nürnberger Nachrichten vom 8. März 2008
Eine Oper – nein danke ?
Deutscher Poetry-Meister wagt in Nürnberg ein Experiment
Was haben eine Oper und ein Poetry-Slammer gemeinsam? Nicht viel bis überhaupt nichts, werdet ihr denken. Das Nürnberger Musiktheater Pocket Opera hat sich für seine neue Produktion «Love Me Tender!» einen Slammer an Bord geholt: Julian Heun ist Deutscher U20-Meister im Poetry Slam – und peppt mit seinen Texten eine umgekrempelte Oper aus dem 17. Jahrhundert auf. Wir haben den jungen Meister getroffen und nach Tipps in Sachen Poetry Slam befragt.
Im November hatte Franz Killer, Chef der Pocket Opera, den 18-jährigen Julian beim Poetry Slam im Erlanger E-Werk gecastet. «Ich wusste erst nicht so recht, was ich davon halten sollte, Texte für eine Barock-Oper zu schreiben», erzählt Julian. «Opern sind nicht so mein Ding.» Doch der junge Berliner ließ sich überzeugen.
«Die Geschichte um diese alte Witwe, die nochmal Sex mit einem jungen Mann haben möchte, fand ich ziemlich nichtssagend – eigentlich passiert nicht viel in dem Stück.» Drei Wochen hatte Julian Zeit, um Ideen zu entwickeln und Texte zu schreiben.
«Das war knapp. Zumal ich kurz vor dem Abi stehe. Zum Glück war keine Klausurenzeit – und Hausaufgaben mache ich eh nicht so.» Herausgekommen sind Texte über die Liebe, über Paarungen «und ein Abgesang auf die Kunst», sagt Julian selbst. «Schwer war es, über die Liebe zu schreiben. Ich hatte bisher nie das Bedürfnis etwas zu sagen, was dazu noch nicht gesagt wurde.»
Viele seiner sonstigen Texte sind von persönlichen Erlebnissen geprägt, auch sein Meister-Stück, in dem er über vollgekotzte Berliner U-Bahnhöfe reimt und Terkan, dem die «Pussys» zu Füßen liegen. Wusste er, dass dieses Werk preisverdächtig ist? «Ein Text ist gut, wenn er dir selbst beim Vorlesen gefällt», meint Julian. «Ob er beim Publikum ankommt, weißt du erst, wenn du auf der Bühen stehst.»
Vor allem Texte, in denen die Zuhörer Situationen wiedererkennen sollen, müssen zum Publikum passen. «Der U-Bahn-Text würde in Nürnberg auch gehen», glaubt Julian. «Darin geht’s um eine bestimmte Sorte Prolls – die habe ich hier auch schon gesehen.»
Auf die Bühne steigen – dazu musste Julian sich erst überwinden. «Ich bin eher so der Textmensch, nicht der Typ, der auf der Bühne rumzappelt.» Er empfiehlt: Slam-Workshops besuchen! «Die weisen einen da auf Sachen hin, die man selbst nicht sieht.» Und sonst? «Das Wichtigste ist ein guter Blick für Alltagsbeobachtungen!» KRISTINA BANASCH
Neugierig? Ihr könnt Julian und seine Texte am heutigen Samstag sowie am 13. und 14. März (jeweils 20 Uhr) im Nürnberger Z-Bau, Frankenstraße 200, live in der Pocket Opera erleben. Kartenreservierung: 09 11/ 2 31 40 00.